Entgegennahme von Publikumseinlagen / Fintech-Unternehmen
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Was ist unter einer «Publikumseinlage» zu verstehen?
Als Publikumseinlagen gelten grundsätzlich sämtliche Verbindlichkeiten, die eine Person gegenüber ihren Kunden eingeht. Nach der Praxis des Bundesgerichts besteht die Entgegennahme von Publikumseinlagen darin, dass ein Unternehmen Verpflichtungen gegenüber Dritten eingeht, d.h. selbst zum Rückzahlungsschuldner der entsprechenden Leistung wird. Die Bankenverordnung (BankV) zählt in Art. 5 Abs. 2 und 3 eine Reihe von Ausnahmen vom Begriff der Publikumseinlage auf. Die FINMA hat diese in ihrem Rundschreiben 2008/3 «Publikumseinlagen bei Nichtbanken» weiter konkretisiert. Für den Fall, dass keine solche Ausnahme greift, liegt eine Publikumseinlage vor.
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Wann erfolgt die Entgegennahme von Publikumseinlagen «gewerbsmässig»?
Ein gewerbsmässiges Handeln ist gegeben, wenn eine Person dauernd mehr als 20 Publikumseinlagen entgegennimmt oder sich öffentlich zur Entgegennahme von Publikumseinlagen empfiehlt (Art. 6 Abs. 1 BankV).
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Wie werden Unternehmen, die gewerbsmässig Publikumseinlagen entgegennehmen, reguliert?
Nach dem Bankengesetz (BankG) ist die gewerbsmässige Entgegennahme von Publikumseinlagen Instituten vorbehalten, die über eine Bankenbewilligung verfügen. Per 1. August 2017 wurde dieses Verbot der Entgegennahmen von Publikumseinlagen durch Nicht-Banken erstmals etwas gelockert. Seither ist die Entgegennahme von Publikumseinlagen im Rahmen der sog. regulatorischen «Sandbox» bis zu einem Wert von höchstens CHF 1 Mio. unter bestimmten Voraussetzungen ohne Bankenbewilligung erlaubt (vgl. hierzu auch nachfolgend «Unter welchen Voraussetzungen findet die regulatorische «Sandbox» Anwendung?»). Durch diesen Abbau regulatorischer Hürden soll die Entwicklung innovativer Geschäftsmodelle bspw. im Crowdfunding-Bereich gefördert werden.
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Wie wurde die Regulierung der Entgegennahme von Publikumseinlagen mit FIDLEG&FINIG geändert?
Mit dem FIDLEG&FINIG-Gesetzgebungsprojekt wurde ein neuer Art. 1b ins BankG eingefügt. Nach dieser mit «Innovationsförderung» überschriebenen Bestimmung findet das BankG auf Personen, die lediglich Publikumseinlagen im Wert von bis zu CHF 100 Mio. entgegennehmen, unter bestimmten Voraussetzungen nur noch sinngemäss Anwendung. Durch diese Revision wird neben der bisherigen Bankenbewilligung eine neue Bewilligungskategorie mit erleichterten Anforderungen geschaffen. Da auch diese auf die Förderung neuer Geschäftsmodelle im Finanzbereich abzielt, wird weitverbreitet von der «Fintech»-Bewilligung gesprochen.
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Unter welchen Voraussetzungen findet die regulatorische «Sandbox» Anwendung?
Nach Art. 6 Abs. 2 BankV handelt eine Person nicht gewerbsmässig, wenn sie:
- Publikumseinlagen im Wert von gesamthaft höchstens CHF 1 Mio. entgegennimmt;
- kein Zinsdifferenzgeschäft betreibt; und
- die Einleger, bevor sie die Einlage tätigen, schriftlich darüber informiert, dass sie von der FINMA nicht beaufsichtigt wird und die Einlage nicht von der Einlagensicherung erfasst wird.
Solange diese drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind, bewegt man sich innerhalb der bewilligungsfreien «Sandbox». Folglich muss für diese Tätigkeit weder eine «Fintech»- noch eine Bankenbewilligung eingeholt werden.
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Unter welchen Voraussetzungen kann eine Person eine «Fintech»-Bewilligung beantragen?
Eine «Fintech»-Bewilligung kann von einer Person beantragt werden, wenn sie:
- gewerbsmässig Publikumseinlagen im Wert von gesamthaft höchstens CHF 100 Mio. entgegennimmt; und
- die entgegengenommenen Publikumseinlagen weder anlegt noch verzinst.
Für den Fall, dass nur eine dieser beiden Voraussetzungen erfüllt ist, muss hingegen weiterhin eine volle Bankenbewilligung beantragt werden.
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Muss eine Person ein innovatives Geschäftsmodell im «Fintech»-Bereich verfolgen, um von der FINMA eine «Fintech»-Bewilligung erhalten zu können?
Nein. Die neue Bewilligungskategorie wird zwar gemeinhin als «Fintech»-Bewilligung bezeichnet, und der neue Art. 1b BankG steht unter dem Titel «Innovationsförderung». Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die neue Bewilligungskategorie grundsätzlich jedermann offensteht.
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Wann benötigt eine Person nach wie vor eine «klassische» Bankenbewilligung?
Eine Person benötigt eine «klassische» Bankenbewilligung, wenn sie:
- gewerbsmässig Publikumseinlagen im Wert von mehr als CHF 100 Mio. entgegennimmt; oder
- die entgegengenommenen Publikumseinlagen anlegt oder verzinst.
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Wie müssen Unternehmen, die eine «Fintech»-Bewilligung beanspruchen wollen, organisiert sein?
Für Unternehmen, die eine «Fintech»-Bewilligung beanspruchen wollen, gelten im Wesentlichen die folgenden Anforderungen:
- Sie müssen als AG, Kommandit-AG oder GmbH organisiert sein und ein Mindestkapital von 3 % der entgegengenommenen Publikumseinlagen bzw. mindestens CHF 300’000 aufweisen (Art. 14a BankV; Art. 17a BankV).
- Ihr Sitz und die tatsächliche Verwaltung müssen sich in der Schweiz befinden (Art. 14a BankV).
- Sie sind verpflichtet, ihren Geschäftskreis in den Statuten oder einem Reglement sachlich und geografisch genau zu umschreiben (Art. 14b BankV).
- Sie müssen eine angemessene Verwaltungsorganisation aufweisen (Art. 14c und d BankV).
- Ihre Organe müssen Gewähr für eine einwandfreie Geschäftstätigkeit bieten (Art. 1b Abs. 3 lit. d BankG).
- Sie haben über eine angemessen ausgestattete Risikomanagement- und Compliancefunktion zu verfügen (Art. 14e BankV).
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Welche Erleichterungen gelten für Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung gegenüber Banken?
Für Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung gelten im Vergleich zu Banken im Wesentlichen die folgenden Erleichterungen:
- Die Rechnungslegung richtet sich ausschliesslich nach dem Obligationenrecht und nicht nach den bankengesetzlichen Spezialregeln (Art. 1b Abs. 4 lit. a BankG).
- Die Verordnung über die Eigenmittel und die Risikoverteilung für Banken und Effektenhändler sowie die Verordnung über die Liquidität der Banken finden keine Anwendung (Art. 17a Abs. 3 BankV).
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Ab welchem Zeitpunkt kann bei der FINMA eine «Fintech»-Bewilligung beantragt werden?
Art. 1b BankG sowie die entsprechenden Anpassungen in der BankV wurden vom Bundesrat bereits auf den 1. Januar 2019 in Kraft gesetzt. Entsprechend können Unternehmen bei der FINMA seit diesem Zeitpunkt eine «Fintech»-Bewilligung beantragen.
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Gibt es für Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung spezifische Verhaltenspflichten?
Nach Art. 7a BankV haben Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung eine spezifische Informationspflicht. Sie müssen ihre Kunden schriftlich über die folgenden Punkte informieren:
- die mit ihrem Geschäftsmodell, ihren Dienstleistungen und verwendeten Technologien verbundenen Risiken;
- den Umstand, dass für die von ihnen entgegengenommenen Publikumseinlagen keine Einlagensicherung besteht.
Weiter sind Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung verpflichtet, die von ihnen entgegengenommenen Publikumseinlagen in einer bestimmten Weise zu halten. Insbesondere müssen die Einlagen getrennt von den eigenen Mitteln verwahrt oder in den Büchern so erfasst werden, dass sie jederzeit separat von den eigenen Mitteln ausgewiesen werden können (Art. 14 f BankV).
Art. 14g BankV bestimmt sodann, dass Personen mit einer «Fintech»-Bewilligung angemessene Vorkehren treffen müssen, um Interessenkonflikte zu vermeiden oder eine Benachteiligung der Kunden durch Interessenkonflikte auszuschliessen. Diese Pflicht stimmt mit Art. 25 FIDLEG überein, wurde für Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung aber dennoch gesondert statuiert, weil solche Unternehmen unter Umständen ein Geschäftsmodell verfolgen, bei welchem keine Finanzdienstleistung vorliegt (vgl. hierzu auch «Ist das FIDLEG auch auf Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung anwendbar?»).
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Ist das FIDLEG auch auf Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung anwendbar?
Das FIDLEG ist «sektorübergreifend» auf sämtliche Finanzdienstleister anwendbar (Art. 2 Abs. 1 lit. a FIDLEG). Ob ein Unternehmen mit einer «Fintech»-Bewilligung eine Finanzdienstleistung erbringt, hängt allerdings vom konkret verfolgten Geschäftsmodell ab. Da die von «Fintech»-Unternehmen angebotenen Dienstleistungen sehr heterogen sind, lässt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des FIDLEG nicht allgemein beantworten, sondern muss im Einzelfall geprüft werden.